Samstag, 6. August 2005

Kapitel 18 -Soll man schreiben, wie man spricht?-

Diese Stilregel wird so häufig und heftig verkündet wie nur noch der Ruf nach kurzen Sätzen und Hauptsätzen. Unter diesen drei ebenso populären wie groben Faustregeln ist sie freilich die gröbste: nämlich ungefähr zur Hälfte falsch! Der schreibende Mensch hat die Neigung, abstraktes, gespreiztes, geblähtes Deutsch zu gebären: „Zwölf verletzte gab es, als die Polizeimacht mit rüder Gewalt gegen die Hausbesetzerszene vorging“ schreibt er beispielsweise – obwohl seine Erzählung lauten würde: „Haste gehört? Mit Gummiknüppeln haben die Bullen auf die Hausbesetzer eingedroschen, zwölf mussten ins Krankenhaus!“
Das ganze Zunft-, Bläh-, und Bürokratendeutsch ginge über Bord, wenn wir schrieben, wie wir sprechen.
Die Schwächen des gesprochenen Worts:
1. Den wenigsten ist es gegeben, einen komplizierten Sachverhalt mündlich angemessen auszudrücken. (erkläre einem Nichtmathematiker die Relativitätstheorie)
2. Den wenigsten ist es gegeben, in mündlicher Rede die Mehrzahl ihrer Sätze zu jenem Ende zu bringen, das sie offenbar angepeilt hatten.
3. Die meisten neigen in mündlicher Rede zu unendlicher Geschwätzigkeit; nicht doppelt erzählen sie alles, das ginge ja noch, sondern siebenfach. (Es ist wahrscheinlich, dass ich in einer Minute des Lesens mehr Information entnehmen kann als in einer Minute des Zuhörens)
4. Füllwörter machen sich mündlich in einer Weise breit, die auch präzise Redner erschreckt, wenn sie die Abschrift ihrer mündlich gehaltenen Rede lesen. (Die Nuns, Danns und Dochs gehen auf die nerven)
5. Modewörter und Klischees drängen sich ungleich stärker in den Vordergrund.
6. Nach fünfhundert Jahren Buchdruck und jahrzehntelanger Vervielfältigung durch die Massenmedien ist die Rede zu großen Teilen zur Reproduktion der Schriftsprache geworden.

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Zuletzt aktualisiert: 20. Dez, 18:08

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